„Schaum besteht aus Luftblasen, die von dünnen Flüssigkeitsfilmen – den Schaumlamellen – umgeben sind,“ beschwichtigt zu Beginn der brandneue Bericht mit geballten, geradezu ballonrunden Ergebnissen über „Proteinschäume in der Lebensmittelproduktion“, dessen Titelseite die komischen Kugeln oben bebildern. Diese kleinen Kugeln seien quasi weit verbreitet in unseren Mägen. Und zwar durch zahlreiche Nahrungsmittel, „mit denen Konsumenten einen hohen Genusswert assoziieren“: Brot, Biskuit, Desserts wie Mousse, Cappuccino, Eiskrem und Schlagsahne oder auch – seitdem sie nicht mehr als „Mohrenköpfe” oder „Negerküsse“ bezeichnet werden dürfen – eben bestbenannte „Schaumküsse“ mit Schokoladenüberzug. Forscher fassen in dieser soeben erschienenen Studie die zentralen Ergebnisse ihrer drei Jahre währenden Arbeit im „Clusterprojekt“ zusammen, was hier am Hort für Interesse an Innovationen sofort beleuchtet werden will, besonders wenn die begleitende Pressemitteilung starke Aufmerksamkeit erzeugt durch den Satz: „Doch bislang erfolgt das Schäumen von Lebensmitteln vorrangig nach dem Trial-and-Error-Prinzip.“ Wie bitte?!
Gemeint scheint mit „Versuch und Irrtum“ wohl nicht das Ausprobieren an unserem Körper. Vielmehr berge die Herstellung solcher Produkte für Praktiker „oft unvorhersagbare Schwierigkeiten“, was nun bei Nachbarn solcher Fertigungsstätten aber keine Explosionsgefahr-Ängste auslösen sollte. Angesprochen ist nämlich, dass Proteine „eine entscheidende Rolle spielen“ bei der Schaumbildung und/oder der Stabilisierung jener Kalorienberge, die der Handel anderswo ankündigt beispielsweise als „chocolate marshmallows“. Eine konstante Produktqualität zu erreichen gehört zu einer der Schwierigkeiten im Produktionsprozess. Zwar würden Rezepturen und Verfahren „empirisch optimiert“, in der industriellen Praxis gebe es jedoch „regelmäßig Probleme gerade mit der Schaumstabilität“. Wunderbares Wort: Schaumstabilität. Zergeht auf der Zunge: Schaumstabilität! Die Produktionsprobleme gehen auf drei Gründe zurück: Erstens sei die disperse Struktur nunmal thermodynamisch instabil, zweitens sorge die Vielfalt der Rohstoffe und der Dosierungen je nach Rezept zu kaum systematisch in den Griff zu bekommenden „Schäumungsverhalten“ (ah, noch so ein toller Begriff!), und drittens zeige sich in der Praxis eine „Unvollkommenheit“ der Verarbeitungsprozesse. Jetzt ist es raus!
Andererseits: Die Vielseitigkeit der oben genannten, aufgeschäumten Esswaren zeige, dass Schäume mit ihren eingeschlossenen Gasen und mit ihrer Mikrostruktur – und an dieser Stelle mit einem Tusch der schäumenden Kapelle betont – „einzigartige organoleptische Eigenschaften besitzen“. Prima! Probieren Sie’s selbst aus: Mit Gasen aufgefüllt fühlen Sie sich schon bald organoleptisch. Bekannt sei immerhin, dass „Aromafreisetzung, Fließverhalten und Strukturzerfall“ zwar beim ersten Hören gefährlich klingen, aber tatsächlich sich beim Verzehr „deutlich von nicht aufgeschäumten Produkten unterscheiden und dies vom Konsumenten positiv wahrgenommen wird“. Kurzum: Das Zeug verkauft sich wie blöde. Daher seien Schäume für die Produktentwicklung von zunehmendem Interesse: So setzten Strategien zur Reduzierung des Energiegehalts von Lebensmitteln unter Beibehaltung der sensorischen Profile zunehmend auf das Aufschäumen dieser Produkte. Anders formuliert: Aufpumpen erhält Umfang und spart Strom.
Also widmeten sich die Beteiligten in sechs Teilprojekten der „Mechanismenaufklärung, Modellierung und Simulation“ von Proteinschäumen in der Lebensmittelproduktion. Die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e.V. (AIF) war ebenso beteiligt wie der Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI). Also Auf und Fei. Gefördert wurde das Projekt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI), mit dem zweifellos aufgeschäumt wirkenden Sigmar Gabriel an der Spitze. Und was kam am Ende hinten raus? In Theorie und Praxis unter anderem diese uns tief blicken lassende Erkenntnisse (Zitate), die uns zudem das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen:
- multiskalige Modelle zur Voraussage des rheologischen Verhaltens blasenhaltiger Lebensmittel
- ein Modell zur Voraussage der Dynamik und Stabilität von Einzelblasen bei Lagerungs- und Transportprozessen; die Blasengröße hing übrigens in entscheidender Form von der Kapillarzahl ab
- Aus der Verteilung eines Erdbeeraromas in einem Milch/Milchschaumsystem wurde eine Anreicherung von Aromastoffen in der Milchphase festgestellt
- Proteinschäume zeigten eine besonders hohe Stabilität in der Nähe des iso- elektrischen Punktes
- Die Gegenwart von Elektrolyten erhöhte die Oberflächenaktivität der Pro- teinmoleküle
- Für spezifische lebensmittelrelevante Bereiche des Elastizitätsmoduls zeigte sich, dass mit einer Vergrößerung desselben die Kompressionszeit verlängert wird
- Die gewonnenen Ergebnisse in Bezug auf den fluidmechanischen Transport in horizontalen Kanälen demonstrierten die Existenz einer Kolben-Pfropfen- strömung (Plug Flow)
- Bei sehr hohem Gasvolumenanteil lieferte der prozentuelle Gasanteil keine eindeutige Aussage zur Schaumqualität – vielmehr trat bei den transportierten Schäumen ein neues Strömungsregime (Schwallströmung) auf.
„Strömungsregime“. „Schwallströmung“. Dafür möchte man die Aufschäumer glatt lieben. Damit alle Leser unter den Weltraumforschern und unter den Schaukopffreunden an dieser Stelle noch Nutzwert mitnehmen, hier ein raketenstarkes Experiment mit Vakuum und mit einem später aufgedunsenen Hasen:
The post Ein Traum aus Schaum appeared first on Garbers Gazette.