„Gehören Sie auch zu jenen, die schon länger nicht mehr ins Kino gegangen sind, weil Sie dort vor lauter Superhelden, Weltzerstörungsorgien, Fortsetzungen und Remakes nichts mehr finden, was Sie interessiert?“, beginnt der Beitrag in der Rubrik „Forschung“, den mir das „Marketing Center Münster“ (MCM) jüngst mit den „MCM-News“ zukommen ließ. „Ja, genau!“, schrie ich in Gedanken gewissermaßen als Antwort. Der Gang ins Lichtspielhaus ist heut’ ein Graus, drum gucken die Leut’ den Film ihrer Wahl zu Haus’. Entsprechend wächst der Umsatz mit dem Verkauf und dem Verleih übers Internet in diesem Jahr hierzulande um 20 Prozent auf 134 Millionen Euro, sagte heute der Verband Bitkom voraus.
Klar, das Kreuz mit dem Kino kennt jeder, der halbwegs Anspruch an das Ästhetikviereck aus Handlung, Darstellung, Bildbaupracht und Filmmusik hat. Mit einem flauen Gefühl nach fader Unterhaltung entließ mich zuletzt „Der Medicus“, der aus der fetten Schwarte von Buchvorlage vor allem von allem ein bisschen zu einem schlaffen Spannungsbogen aufzog (Gewalt, Tod, Liebe, Entdeckung). Ich hätte es ahnen müssen, gehörte doch zu den Produzenten Wolf Bauer („Bianca – Wege zum Glück“, „Didi und die Rache der Enterbten“) von UFA Cinema und zu den Drehorten ausgerechnet Sachsen-Anhalt. Hier das Ende des Heros jenseits der deutsch-deutschen Mauer (stellvertretend gestellte Szene aus einem anderen Film):
Das trügerische Geschäft mit Blockbustern zerstöre das Kino, prognostiziert dazu Marketingprofessor Thorsten Hennig-Thurau im oben erwähnten Beitrag. Beruflich beschäftigt er sich mit der „Ökonomie des Films“, privat bevorzugt der Filmfan feine Klassiker wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder „Es war einmal in Amerika“. Seine Analyse konstatiert insbesondere für die Hollywoodmaschinerie eine „absolute Blockbusterkino”-Strategie, weil mit der Globalisierung des Geschäftes „unendliche Skaleneffekte“ einhergehen. Die Überlegenheit von „Markenfilmen“ gegenüber „innovativen Projekten“ seien auch durch Studien der Münsteraner Medien- und Markenwissenschaftler belegt.
Danach ziele das Geschäftsmodell dieses Kultur-Mainstreams darauf, die Produktionsbudgets in exorbitanten Größenordnungen hereinholen über „eine kollektive Vorveröffentlichungsextase“, die Konsumenten insbesondere über Facebook und Twitter ausleben. Das Buzzword (Modewort) dafür lautet „Buzz“ (Begeisterung). Blockbuster spielen einen Großteil über den Kinokartenverkauf am Startwochenende ein. Ein Erfolg, der sich nur durch die Uninformiertheit der Verbraucher einstelle. Es entsteht ein „Kaskaden-Effekt“, bei dem sich Zuschauer an Charts orientieren und der Erfolg der Dummheit sich selbst verstärkt. Buzz verurteile die Qualität eines Films zur Irrelevanz. Durch die punktuelle Startbegeisterung erzielte etwa Disney/Marvel mit „Avengers“ in den ersten drei Tagen fast 210 Millionen Dollar allein aus Kinokassen. Im Gesamtergebnis hier die Top 14 der erfolgreichsten Kinofilme aller Zeiten mit ihrem weltweiten Einspielergebnis in Millionen US-Dollar (Kulturschrott-Ranking by IMDb):
Die Strategie, warnt Müller-Thurgau (Verzeihung, aber das Wortspiel drängt sich auf!), birgt drei Gefahren: Das global gleiche Konzept zielt auf große Kundengruppen mit immer gleichen Effekten wie Explosionen, die weltweit verstanden werden, aber auf Dauer langweilig werden. Die starken Marken für Filme made als Brand Extensions – nehmen wir „Transformers“, „Iron Man“ oder den mehrteiligen Piratenkaribikfluch - gehen langsam aus. „Die Filmgeschichte ist ein Markenfriedhof“, konstatiert der Kinoprof: „Ersatz ist nicht in Sicht, die globale Markenwelt ist weitgehend ausgeplündert.“ Drittens ziehe mit den sozialen Medien das Risiko wieder ein, denn in Stunden spreche sich herum, dass der neue Film eben kein Hit ist. In Folge fehlen millionenschwere Einnahmen für kommende Blockbuster. Fazit: Durch die kurzfristigen Verlockungen des Buzz-Modells laufe die Filmindustrie zügig Gefahr, sich von ihrer Kernkompetenz zu verabschieden. Und die lag mal im Erzählen faszinierender Geschichten. Wie im Marketing von Unternehmen kommt es eben, wie man neudeutsch sagt, auf authentischen und außergewöhnlichen und relevanten Content an.
Die Wirtschaftsgeschichte beweise, wie schwer es großen Konzernen falle, anderen hinterherzulaufen, wenn die erst enteilt sind, referiert der Münsteraner Marketinggelehrte. Gemeint ist damit, dass sich Jugendliche schon jetzt eher an Social Media und Video Games orientieren sowie Erwachsene am Fernsehen, wo Kreative inzwischen bessere Unterhaltungsfilme bieten. So dreht Regisseur Steven Soderbergh („Ocean’s Eleven“, „Traffic“) dreht TV-Serien, der zurecht zweifache Oscar-Preisträger Kevin Spacey spielt die Hauptrolle in der Emmy-prämierten Internet-Serie „House of Cards“. Angesichts des Kamikazekinos jault sogar der Löwe der einst großen Filmgesellschaft MGM auf: